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Trauer bei Suizid

Hypnosystemische Trauerbegleitung mit einem Beispiel aus der Praxis



Gemütlich und in Ruhe den letzten Tag des Jahres zu Hause ausklingen lassen, so hatten sich Maren und Peter diesen Abend vorgestellt. Corona lässt ohnehin kaum etwas anderes zu. Die beiden haben ein befreundetes Paar eingeladen. Ihre Tochter Hanna ist im Sommer ein Jahr alt geworden. Sie wird friedlich ins neue Jahr hinein schlafen. Gegen 17 Uhr läutet das Telefon. Maren sieht die Nummer ihrer Mutter im Display. Sie freut sich auf das freundliche Gespräch mit ihr. Ihre Eltern sind seit vielen Jahren geschieden. Zu ihrem Vater hat Maren schon vor Jahren den Kontakt verloren. Marens Mutter hatte die Streitereien und vor allem dessen Alkoholkonsum nicht mehr ertragen und war mit ihr ausgezogen als sie noch ein Kind war. Seither gab es nur noch lose Kontakte zwischen den beiden. Maren hatte nicht die besten Erinnerungen an diese Zeit und so ließ sie es darauf beruhen.


„Der Papa ist tot“, hört Maren ihre Mutter sagen. Sie traut ihren Ohren nicht, spürte, wie ihr schwindlig wurde. Ihre Mutter wirkt aufgelöst. „Bitte komm!“, sagt sie schließlich, „der Papa hat sich das Leben genommen.“ Maren erstarrt. Wie kann das sein!? Später erfährt sie, dass ihre Mutter sich gewundert hatte, weil sie ihren Ex telefonisch nicht erreichen hatte können. Schließlich war sie zu seiner Wohnung gefahren und hatte ihn gefunden. Marens Vater wurde 47 Jahre alt.



Suizidtrauernde stehen vor einer besonderen Aufgabe

Trauernde, die einen lieben Menschen durch Suizid verlieren, werden vor eine besondere Aufgabe gestellt. Sie müssen die Trauer verarbeiten und gleichzeitig ist ein Suizid häufig mit traumatischem Erleben verbunden, sowohl für die Trauernden, als auch für den nahen Menschen, der nun nicht mehr da ist.

Maren nahm einige Monate nach dem Tod ihres Vaters mit mir Kontakt auf. Sie trug viele ungeklärte Fragen mit sich herum auf die sie keine Antwort finden konnte und die sie umtrieben. Sie wusste nicht, wie sie damit umgehen sollte und ihren Frieden mit ihrem Vater machen könnte, wenn er nun nicht mehr da sei.



Die Liebe zu dem nahen Menschen will weitergeführt werden – in anderer Form

Die Liebe zum Verstorbenen will weitergeführt werden, in anderer Form.

Lange vertrat man in der Trauerarbeit die Idee des Loslassens. Trauernde sollten den Verstorbenen loslassen, um sich schließlich wieder befreit dem eigenen Leben zuwenden zu können – so die Vorstellung. Das half nicht jedem, im Gegenteil, vielfach tauchten Schwierigkeiten auf. Wer will schon den geliebten Menschen loslassen und sich von ihm abwenden, wenn dieser nicht mehr da ist? Er bleibt ja doch immer Teil des eigenen Lebens und dieser Teil will integriert werden. Heute weiß man, dass Trauerarbeit vor allem Beziehungsarbeit ist. Die Liebe zu dem vertrauten Menschen will sich nach seinem Tod auf eine andere Weise gestalten, will auf andere Art gelebt werden, die gilt natürlich auch für Trauer bei Suizid.


Roland Kachler entwickelte einen neuen hypnosystemischen Traueransatz, den ich von ihm lernen durfte und mit dem ich arbeite. Die Begleitung von Maren konnte ich nach diesem Ansatz gestalten. Auch für sie war es keine Frage des Loslassens, sondern des Klärens der Beziehung zu ihrem Vater. Danach erst konnte die Trauer Raum finden, auch die Trauer über eigene Verluste im Zusammenhang mit der Trennung ihrer Eltern.



Traumatisierung durch Verlust / Trauer bei Suizid

Einen nahen Menschen durch Suizid zu verlieren, kommt einer Ohnmachtserfahrung gleich. Es tut sich ein Abgrund auf, der einen zu verschlingen droht. Nichts ist mehr so, wie es war. Man erfährt sich selbst als hilflos und ohnmächtig, indem man den nahen Menschen nicht vor seiner Entscheidung bewahren konnte. In der Ohnmachtserfahrung und der Erfahrung der eigenen Hilflosigkeit liegt das Trauma. Suizidtrauernde müssen sich zusätzlich zu Trauer und Verlustschmerz mit diesem Trauma auseinandersetzen. Dabei geht es einerseits um ihre eigene Wunde, die sie durch den Suizid des nahen Menschen erlitten haben, andrerseits aber auch um die Wunde, das Trauma, an der der geliebte Mensch litt, die ihn in den Suizid führte.

Maren wurde in dieser Zeit von Selbstvorwürfen geplagt. Warum hatte sie sich im Erwachsenenleben kaum mehr bei ihrem Vater gemeldet? Sie hatte ja gewusst, dass es ihm nicht gut ging. Aber sie hatte keinen Aufhänger gefunden. Sie hatten sich auseinandergelebt, auch wenn sie an ihm hing. Nun war es zu spät.



Drei Aspekte eines Verlusttraumas

Ein Verlusttrauma, das bei einem Suizid erlebt wird, weist in der Regel drei Aspekte auf. Zum einen handelt es sich um ein Bindungstrauma, das durch den unerwarteten Abbruch der Beziehung durch den Suizid entsteht. Die Beziehung wird ungewollt beendet. Der Schmerz ist kaum auszuhalten, bis sich schließlich die Liebe in Gestalt der Trauer meldet.


Auch kann es im Kontext des Todesgeschehens zu traumatisierenden Erfahrungen kommen. Eine unerträgliche Auffindsituation oder die Art und Weise, wie die Todesnachricht überbracht wird, können traumatisierend wirken. Plötzlich sind Behörden beteiligt, Polizei, Staatsanwaltschaft oder andere Institutionen und man erlebt sich selbst hilflos und ohnmächtig einem Geschehen ausgeliefert, auf das man keinen Einfluss nehmen kann, das man nicht gestalten kann. Nicht nur das tatsächlich Gesehene und Gehörte macht Angehörigen zu schaffen, auch Vorstellungen vom Suizid selbst oder andere Überlegungen im Zusammenhang mit dem suizidalen Geschehen wecken Bilder und es kann später zu Flashbacks kommen, Ängste können entstehen.


Maren hatte ihren Vater zwar nicht aufgefunden und auch nicht mehr gesehen, aber die Beschreibungen ihrer Mutter hatten sie in Angst und Schrecken versetzt. Sie malte sich das Geschehen in den schlimmsten Bildern aus, die sie nicht mehr los wurde.


Der Verlust wird als etwas Entsetzliches erlebt. Das Trauma geschieht nicht nur den Angehörigen, sondern das Entsetzliche ist auch dem nahen Menschen geschehen. Dies löst existenziellen Verlustschmerz aus, der sich in Schreien, Weinen oder sogar Ohnmacht äußert. Die Kraft weicht aus dem eigenen Körper, man sackt weg, weil man die Realität nicht ertragen kann. Angehörige befinden sich oft über Monate im Schock, fühlen sich wie im Film oder in einer nebligen Realitätsferne. Die Liebe zu dem nahen Menschen weigert sich, dessen Tod anzuerkennen. Der Schmerz will schreien. Dieser erste Schockzustand hält meist sechs bis acht Monate an. Danach beginnt sich die Liebe in der Trauer zu entfalten und man stellt fest: Gleichzeitig mit dem Schmerz und in dem Schmerz, sind die Liebe und die Verbundenheit zu spüren. So kann ein Weg gefunden werden, der langsam aus der Ohnmacht herausführt. Er vollzieht sich in der Bewegung zwischen Schmerz und Liebe. In einem Hin- und Hergehen zwischen beiden.



Unser Körper hilft uns bei der Verarbeitung

Beides, sowohl Schmerz als auch die Liebe sind als Empfindungen in unserem Körper spürbar. Im Schmerz fühlt sich der gesamte Körper wie erschlagen an. Aber auch die Liebe ist an einer Stelle in unserem Körper zu finden. Diese Stelle können wir aufspüren. Wo fühlen wir die Liebe und das Mitgefühl zu dem nahen Menschen? Spüren wir sie in der Herzgegend oder im Bauchraum? In der Brust? Oder an einer anderen Stelle? An welcher Stelle im Körper will sich die Liebe zu dem nahen Menschen zeigen? Und was genau spüren wir da? Vielleicht zeigt sich ein intensives, warmes Gefühl? Vielleicht können wir dieses Gefühl auch noch genauer beschreiben. Ist es schwer oder leicht? Wir können auch fragen, welche Farbe dieses Gefühl hat. Oft findet sich ein Orange, ein Gelb, etwas freundliches, lichtes, das wir zu unserem lieben Menschen fließen lassen können. Dabei können wir in unserer Liebe mitfühlen mit seinem Leiden vor dem Suizid. Wir spüren seine Verzweiflung, die Ausweglosigkeit, die ihn zum Suizid veranlasst hat. Vielleicht liegt eine längere Zeit der Begleitung hinter uns? Plötzlich merken wir, dass wir nicht nur mit dem Leben und dem Leiden des nahen Menschen fühlen, sondern auch mit seinem Sterben. Vielleicht können wir seine Einsamkeit spüren? Im Mitfühlen können wir das Leiden verstehen, wir können mitschwingen und das Trauma, die Ohnmacht und die Ausweglosigkeit des nahen Menschen mitempfinden, nachempfinden.



Wie findet man aus all dem heraus?

Hilfreich ist es, Orte zu finden, an denen Trauer und Schmerz gehalten werden und an denen die innere Nähe zu dem nahen Menschen empfunden werden kann. Orte, an denen die Trauer und die Beziehung gelebt werden dürfen, an denen die innere Nähe zu dem Menschen fühlbar wird. Dies können Freunde sein, die Halt geben, der Kontakt zu einer Trauergruppe, aber auch eine Neustrukturierung des Alltags oder Aufgaben, die mit dem nahen Menschen in Verbindung stehen. Oft hilft es auch, Erinnerungen zu sammeln, Fotos zu sortieren oder Erinnerungsstücken einen Platz zu geben.


Zunächst geht es erst einmal darum, selbst weiterzuleben und zu überleben. Wir funktionieren, während der Schockzustand anhält. Erst später können sich aus dem Schock heraus Trauer und Liebe zeigen.


Folgende Fragen können die Verarbeitung unterstützen:

Wo ist die Präsenz des geliebten Menschen zu spüren?

Wo finde ich ihn? In der Natur? Zuhause? Manche Menschen berichten von „Boten“, von einem Schmetterling oder einem Vogel, den sie vom Fenster aus beobachten und den sie in Verbindung zu dem geliebten Menschen bringen.

Begegnet er mir in meinen Träumen?

Welche Signale der Liebe kann ich sonst noch entdecken?

An welcher Stelle im Körper kann ich die Liebe des nahen Menschen besonders spüren?



Oszillieren zwischen zwei ausgeprägten Emotionen

Folgt man dem oben beschriebenen Weg, empfindet man beides. Auf der einen Seite die Trauer und den Schmerz und auf der anderen Seite die Liebe zu dem Menschen. Dies kann zu einer Pendelbewegung führen. Die eine Seite lädt den Schmerz zum Gehen ein, will ihn nach außen bringen, ziehen lassen. Man kann dabei ausatmen und dies mit einer entsprechenden Bewegung der Arme begleiten und den Schmerz wegatmen.


Auf der anderen Seite kann man die Liebe in sich verankern. Wir können sie im Herzen spüren und unsere Hände an die entsprechende Körperstelle legen. Auf diese Weise kann die Liebe zu dem nahen Menschen immer präsent in uns bleiben. Wir können ihn in die Arme schließen, ihn umarmen und ihm auf diese Weise nah sein. Wenn Schmerz und Trauer auftreten, können wir diese abfließen lassen und gleichzeitig in der inneren Umarmung verweilen. Wie in einer Pendelbewegung.



Einen heilsamen inneren Ort einrichten

Strand

Häufig taucht die Frage auf, wie man mit traumatischen Bildern umgehen kann. Sie lösen sich nicht unmittelbar auf, aber man kann sie zunächst einmal an einem heilsamen Ort bei dem nahen Menschen lassen. Später können diese Bilder gelöst werden. Ein solcher heilsamer Ort kann aus der Liebe zu dem nahen Menschen heraus auftauchen und in der eigenen Vorstellung entstehen als ein Ort, an dem der geliebte Mensch, das findet, was er hier nicht finden konnte.

An welchem Ort hat sich der nahe Mensch wohl gefühlt? Wo fühlte er sich aufgehoben? Oft entsteht aus diesen Fragen heraus ein Raum der Unendlichkeit, ein Raum des Lichts und der Liebe. Dort kann Heilung stattfinden. Der Blick in diesen heilsamen Ort kann Trauernden ein Verstehen für diesen Menschen eröffnen. Plötzlich wird deutlich, dass der Suizid nur ein Teil von ihm ist und dass sich Heilung in diesem Raum ereignen kann. Für Maren war die Idee, verschiedene Orte einzurichten äußerst hilfreich. Sie fand Raum für ihre Zweifel, ihre Fragen, ihre Wut. In einem längeren Prozess durfte all dies Raum finden.



Einen Begegnungsort einrichten

Maren half es, sich einen Ort vorzustellen, an dem sie ihren Vater treffen konnte. Sie fand diesen Begegnungsort spontan in ihrer Vorstellung. Plötzlich hatte sie eine weite Landschaft vor Augen. Darin konnte sie sich bewegen und mit ihrem Vater ins Gespräch kommen. In diesem Begegnungsraum kann man miteinander arbeiten. Maren lernte, den Schmerz und die Trauer kommen und sie dann abfließen zu lassen. Sie konnte ausatmen und den Atem mit einer Bewegung begleiten. Dieser Begegnungsraum ermöglichte es ihr, eine innere Begegnung mit ihrem Vater zuzulassen und ein inneres Gespräch mit ihm zu führen.



Eine Klärungsbühne einrichten

Trauerarbeit ist Beziehungsarbeit. Mit dem Tod oder Suizid eines lieben Menschen wird auch deutlich, was an der Beziehung zu ihm schwierig gewesen ist. An einem Ort der Klärung kann man dem nahen Menschen alles sagen, dort kann man ihm auch Vorwürfe machen. Die Liebe hält das aus, ja sie braucht diese Klärungen geradezu. Dort können auch alle übriggebliebenen Fragen angesprochen werden. Warum hast du dir das angetan? Hast du nicht an uns gedacht? Auch hier kann man mit dem nahen Menschen ins Gespräch kommen, indem man auf das achtet, was auftaucht. Auch eigene Schuldgefühle oder Wut können hier einen Platz finden und gelöst werden, indem man die innere Reaktion wahrnimmt. Vielleicht bestehen auch noch ungeklärte Konflikte aus der gemeinsamen Zeit. Auch diese können ausgesprochen werden und in einen heilsamen Klärungsprozess fließen.

Für Maren wurde diese Klärungsbühne zu einem wichtigen Ort. Immer wieder führte sie auch Gespräche mit Verwandten oder Menschen, die ihren Vater von früher kannten und so trug sie verschiedene Facetten zusammen, die ihr zum Verständnis gefehlt hatten. Vieles konnte sie ihm dann in inneren Gesprächen mitteilen. Nach und nach fand sie Frieden mit ihm.


Ziel eines solchen Prozesses ist es, Trauer und Schmerz allmählich ziehen lassen zu können. Dies wird möglich, weil gleichzeitig das Bewusstsein wächst, dass w sein werden.


Quelle:

Nach Roland Kachler, „Traumatische Verluste“ sowie „Hypnosystemische Trauerbegleitung“

Die Begleitung von Maren (Name geändert), dauerte insgesamt ca. 1 Jahr.


Sie erreichen mich für eine Terminvereinbarung unter der E-Mail info@ulrike-englmann.de oder telefonisch unter 0160 90 700 600.



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